Rehe vs. Nachtcacher…
Exklusivinterview mit Wildbiologen
„Verpisst Euch! Ihr habt hier im Wald nachts nichts zu suchen!“…das Aufeinandertreffen mit Jägern kann gerade zu dunklerer Stunde nicht nur ärgerlich, sondern manchmal auch sehr aggressiv ausfallen.
Verbannung aus dem Wald?
Das „Aufschrecken von Rehen“ ist dabei das am häufigsten benutzte Hauptargument. Fakt ist jedoch: die können uns nicht des Waldes verbannen! Das schreibt das Bundeswaldgesetz so vor, in Bayern ist das Betretungsrecht für Wälder sogar in der Verfassung verankert!
Unabhängig davon stellte ich mir als „Wild-Laie“ die Frage, ob dieses Aufschrecken der Rehe wirklich als Argument zieht…was steckt dahinter? Ist ein Trupp von mit Taschenlampen bestückter Geocacher wirklich „schlimmer“ als ein Förster, der nachts mit brummendem Motor Waldwege entlang heizt?
Die Antwort darauf kann nur jemand geben, der sich mit Rehen intensiv beschäftigt: Prof. Dr. Wolfgang Rohe von der HAWK in Göttingen. Er ist zuständig für ökologische Umweltplanung/Umweltinformatik und leitet unter anderem Lehrveranstaltungen für Zoologie, wozu auch die Wildbiologie zählt. Ein Fachkundiger also auch auf dem Gebiet „Rehe“ – mit ihm habe ich ein exklusives Interview geführt.
Der Hauptvorwurf von Jägern: „Ihr schreckt die Rehe auf“…wie sehen Sie das Problem, ist dem wirklich so?
Hierzu müssen wir uns einleitend kurz die Lebensweise von Rehen ansehen, ganz explizit den variierenden Nahrungsbedarf: der Rehbock zum Beispiel hat einen besonderen Bedarf in den Monaten November/Dezember/Januar wegen des Geweihwachstums, das für die Partnersuche und somit Fortpflanzung sehr wichtig ist. Beim weiblichen Tier ist vor allem die Tragzeit, die Setzzeit und natürlich dann auch die Zeit, in der das Jungtier betreut wird, wichtig. In diesen Zeiten haben die Tiere einen extrem großen Energiebedarf und brauchen mehr Nahrung, um die Grundfunktion des Lebens aufrecht zu erhalten. Parallel dazu müssen wir die Jagdzeit betrachten – Rehfleisch gehört zu den besten und gesündesten Fleischsorten, die es gibt. Da der Jäger ja ohne Nachtsichtgerät arbeiten muss, nutzt er die Sichtzeit. Das Reh spürt den Jagddruck und weicht für die Nahrungsaufnahme also aus, auf Zeiten, in denen nicht gejagt wird. Das ist unter anderem die Nacht. In dieser Zeit muss das Reh also sowohl genug (hochwertige faserarme) Nahrung suchen und dann auch aufnehmen können. Wenn nun diese sowieso enge Zeitspanne für die Nahrungsaufnahme noch mehr eingeschränkt wird – sei es durch voll beleuchtete Mountainbiker, durch Jogger mit Stirnlampen oder eben durch nächtliche Geocacher – dann ist das für das Tier kontraproduktiv. Zusätzlich weicht es Ihnen – oft von Ihnen komplett unbemerkt – aus. Das kostet das Tier zusätzliche Energie und Zeit, in der es hervorragend Nahrung aufnehmen könnte.
Ich bin selbst oft nachts unterwegs und habe dabei schon oft Rehe gesichtet. Zumindest bei mir war es aber immer so, dass das Reh nicht ausweicht, sondern eher interessiert ist an dem, was wir hier tun. Einmal hatte sich sogar eine komplette Rehfamilie während unserer Begutachtung der Finaldose immer mehr bis auf wenige Meter angenähert und ganz neugierig beobachtet, was wir hier machen. Auf mich als Laie hat das gewirkt, als ob die Tiere keineswegs Angst vor uns hatten…
Da gratuliere ich Ihnen erstmal – Sie sind ein guter Beobachter! Genießen Sie solche Momente, das sind wunderschöne Erlebnisse! Der Mensch unterschätzt das Reh häufig: Rehe dürfen ja nicht immer gejagt werden, sowohl während der nächtlichen Zeit der Nahrungsaufnahme, als auch in der Zeit des Ausstragens und der Kitz-Betreuung, der Setzzeit. Und das können sich die Rehe tatsächlich merken! Das Reh kann einschätzen, dass von Ihnen keine Gefahr ausgehen kann und beobachtet dann tatsächlich sehr neugierig, was Sie da treiben. Es stuft Sie als Spaziergänger als „harmlos“ ein. Aber: versuchen Sie bitte, diese „Störung“ des Rehs zu minimieren und auch auf den Wegen zu bleiben! Denn auch wenn es positive Erlebnisse sind, ist das Reh in diesen Momenten abgelenkt – es beobachtet Sie ganz interessiert, obwohl es genau diese Zeit eigentlich nutzen sollte und müsste, um die wichtige Nahrung aufzunehmen! Das heisst, Sie gefährden das Reh nicht aktiv, aber schränken es ein beim Versuch, für die benötigte Energie zu sorgen, die es braucht. Sie können das ganz einfach damit vergleichen: vor Ihnen steht gerade frisch das Mittagessen auf dem Tisch und plötzlich klingelt es an der Tür. Sie schauen dann nach, wer da ist, unterhalten sich womöglich mit dem Besucher, aber satt werden Sie in der Zeit nicht.
OK, das ist nachvollziehbar. Also, Ihr Argument dafür, dass Owner ihre Wald-Caches möglichst ausschließlich entlang von offiziellen Wegen legen…gibt es denn jahreszeitlich gesehen Zeiten, in denen Cacher den Wald grundsätzlich lieber meiden sollten?
Nun, das ist wie gesagt einerseits die vorhin angesprochene Setzzeit, die meistens im April und Mai liegt, sowie die Brunftzeit, also Juli und August. Also wenn es geht bitte im Sommer wirklich die nächtlichen Stunden den Wald dem Reh überlassen, bzw. mögliche Störungen so gut wie möglich minimieren – es soll hier zur Ruhe kommen und Nahrung aufnehmen können. Im Winter gilt es zu unterscheiden: im wirklich harten Winter, den es bei uns inzwischen aber fast nicht mehr gibt, ist eine Störung hier auch kritisch einzustufen. Einerseits kostet das Fliehen bei Rehen viel Energie, andererseits steigt zum Beispiel bei Schneedecken auch die Verletzungsgefahr! Hier kann schon ein einzelner Geocacher für das Reh den Tod bedeuten: wenn es sich den Lauf verletzt, ist das im Winter eine Katastrophe. Aber solche Winter sind zum Glück sehr selten.
Als Geocacher freut mich so eine Aussage natürlich eher weniger – hier bleiben wenige Wochen bis Monate übrig, in denen wir rein ethisch gesehen den Wald betreten können…
Was ich auf jeden Fall empfehlen würde: sprechen Sie vorab einfach kurz auch mit dem entsprechenden Revierförster! Es geht ja auch um andere, teils bedrohte, Tiere. Nur der Förster hat das Knowhow und weiß, in welchem Bereich seines Waldes das Geocaching – egal ob tags oder nachts – unproblematisch ist und wo es lieber unterlassen werden sollte. Mit dem Revierförster kann man einen Geländeplan durchgehen und sich beraten lassen, welche Bereiche ein Tabu bleiben sollten und wo ein Geocache gelegt werden kann. Das wäre von beiden Seiten her der richtige Weg.
Die offene und ehrliche Kommunikation also…Hand auf’s Herz: meinen Sie, dass ein Förster bei einer Anfrage von einem Cacheowner dem Thema gegenüber wirklich aufgeschlossen ist? Oder kommt dann sowieso gleich das von vielen Ownern befürchtete „vergiss‘ es“?
Das Problem ist hier einfach: Sie sind nicht fachkundig! Sie kennen sich nicht mit den Vögeln aus, Sie wissen nicht, welche Tiere dort wohnen oder welche Pflanzen dort Schutz genießen sollten. Der Förster ist in diesem Fall eine fachkundige Vertrauensperson. Daher die Bitte: nehmen Sie diese Fachkompetenz an! Ich habe selbst mal einen „wilden“ Cache in Sachsen erlebt, bei dem die Cacher durch einen Bereich mit besonderen Pflanzen (wilden Orchideen) geführt wurden, die für einen Laien nicht unbedingt erkennbar sind. Hier wurde ein solch enormer Schaden durch Niedertrampeln verursacht, dass auch Anzeige erstattet werden musste. Die Probleme, die man sich als Cachebesitzer durch so etwas – auch wenn es nicht böse gemeint ist – einhandeln kann, sind oft größer als wenn man vorab ein paar ehrliche Worte wechselt und die Belange von beiden Seiten durchleuchtet. Wir haben hier in Deutschland den Luxus, dass wir Wälder betreten dürfen. Damit das so bleibt, sollte es ein paar Benimmregeln geben, und dazu gehört: frag den, der sich auskennt.
Nun gibt es ja immer wieder berichte von Cachern, dass Jäger teils wirklich sehr aggressiv reagieren, in einem Fall, der mir bekannt ist, wurden die Cacher sogar bedroht, weil wir das Wild aufschrecken würden. Parallel habe ich auch schon – gerade erst vor wenigen Wochen im Ebersberger Forst bei München – Förster mit voll beleuchteten Autos nachts über Waldwege brettern sehen…die Frage aus Cachersicht: stören die das Wild nicht deutlich mehr als ein paar harmlose Fußgänger?
Ich weiß nicht, ob Sie darüber informiert sind, aber: wir haben in unseren deutschen Wäldern auch wieder Wilderer, das ist definitiv! Das ist wieder neu gekommen, sozusagen ein neuer „Trend“…Menschen, vielleicht aggressive Menschen, mit Waffen – und Waffen sind tödlich. Bitte passen Sie auch diesbezüglich nachts ganz besonders auf sich auf. Sie wissen ja nicht, ob Sie da den Förster oder eventuell einen Wilderer getroffen haben. Also seien Sie da bitte vorsichtig! Es gibt doch auch die Möglichkeit, Nachtcaches rund um landwirtschaftlich ausgeräumte Flächen zu platzieren – das wäre deutlich ungefährlicher als im Wald. Vielleicht können Sie da einfach ausweichen?
Wilderer…an so etwas habe ich beim nächtlichen Cachen ehrlich gesagt noch nie gedacht – danke für diesen Tipp! Nochmal die Frage: wer schädigt rein stressmäßig das Wild nun tatsächlich mehr – der Geocacher, oder der Jäger, der einen Schuss absetzt?
Ich weiß natürlich, worauf Sie hinaus wollen, aber das ist eine ganz individuelle Sache und kommt immer auf die Einzelperson an. Und damit kurz zum Rechtlichen: wir haben ja das Wegegebot, und daran sollten wir uns halten. Sie wissen ja auch nicht, was „querfeldein“ gerade alles passiert: hier wird vielleicht Naturverjüngung betrieben, oder es wird etwas behandelt, wir machen auch biologische Schädlingsbekämpfung…Sie wissen nicht, wie forstliche Vorgänge ablaufen. Und da sollten Sie auch Rücksicht darauf nehmen. Wenn wir alle etwas mehr Rücksicht aufeinander nehmen, klappt es. Der Mensch ist groß geworden durch das Leben in Symbiose, und das ist das Entscheidende: es funktioniert, wenn man nehmen, aber auch geben kann! Das ist ein gegenseitiger Prozess – bitte versuchen Sie, das zu beherzigen.
…ein hervorragendes Schlusswort! Vielen Dank Herr Prof. Dr. Rohe für das sehr ausführliche Interview – Sie haben dazu beigetragen, uns Geocachern auch die Sicht der „anderen Seite“ kennenzulernen und manche bislang undurchsichtige „Auflagen“ zu durchleuchten.